Seit Jahren schrumpfen in Deutschland die Gewerkschaften. Das IW hat nun für die M+E-Industrie untersucht, was Mitglieder an Gewerkschaften grundsätzlich schätzen und warum sich Nichtmitglieder gegen einen Beitritt entscheiden.
Ob bei der Deutschen Bahn, im Einzelhandel oder in der Industrie – wenn es um das Aushandeln kollektiver Arbeitsbedingungen geht, sitzen in der Regel Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zusammen. Am Ende steht ein Flächentarifvertrag, mit dem im besten Fall beide Seiten gleich gut leben können.
Doch in den vergangenen Jahren bröckelte der Rückhalt auf beiden Seiten. So ging die Zahl der Betriebe in tarifschließenden Arbeitgeberverbänden und damit auch der Anteil der Beschäftigten, die nach Tarif bezahlt werden, zurück.
Im Jahr 2000 wurden 63 Prozent der westdeutschen und 46 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten nach Flächentarif bezahlt. Diese Anteile fielen bis 2022 auf 43 Prozent im Westen und auf 33 Prozent im Osten.
Auch die Gewerkschaften haben mit Mitgliederschwund zu kämpfen, nur gut 17 Prozent der Beschäftigten in Deutschland sind noch Teil einer Gewerkschaft. Im Jahr 1991 betrug die Quote noch 39 Prozent. Gerade für die Arbeitnehmer gibt es bislang kaum wissenschaftliche Daten, die die Frage klären, warum sich immer weniger von ihnen kollektiv organisieren. Dieser Lücke hat sich das IW mit einer Beschäftigtenbefragung im Jahr 2023 angenommen und knapp 2.600 Arbeitnehmer aus der Metall- und Elektro-Industrie befragt. Von den Befragten waren 814 in einer Gewerkschaft, 1.750 nicht.
Fast die Hälfte der Nichtmitglieder hat sich noch nie über eine Gewerkschaft informiert.
Trotz der sinkenden Bereitschaft, sich zu engagieren, schätzen die Befragten Gewerkschaften. 87 Prozent sind davon überzeugt, dass es dieses Vertretungsorgan zum Aushandeln von Arbeitsbedingungen braucht, vier von fünf Befragten sehen es als wichtige Institution, um Arbeitnehmerinteressen gegenüber der Regierung und bei Gesetzesvorhaben zu vertreten. Auch die Relevanz von Arbeitgeberverbänden sehen die M+E-Beschäftigten – zwei Drittel sind der Meinung, dass diese Tarifverhandlungen führen sollten.
Das Tarifsystem wird von den Befragten ebenfalls sehr geschätzt: So machen sich gut 70 Prozent Sorgen wegen der rückläufigen Tarifbindung. Daraus folgt: Fehlende Akzeptanz ist kein Grund für die rückläufigen Mitgliedszahlen der Gewerkschaften. Vielmehr fehlt es häufig an Kenntnissen über und Anknüpfungspunkten zu Gewerkschaften.
Von den 1.750 befragten Nichtmitgliedern haben sich 46 Prozent noch nie über eine Gewerkschaft informiert; 62 Prozent dieser Gruppe wissen nicht, wie hoch in etwa der Mitgliedsbeitrag einer Gewerkschaft ist.
Die fehlende Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften taucht auch in den Gründen auf, die für die Befragten gegen einen Beitritt sprechen. So haben drei von zehn noch nie über eine Mitgliedschaft nachgedacht. Beschäftigte wägen zudem Kosten und Nutzen einer Mitgliedschaft ab.
Gut ein Fünftel der Nichtmitglieder empfindet die Mitgliedsbeiträge der Gewerkschaften als zu hoch beziehungsweise kann sie sich nicht leisten.
Dass es keiner Mitgliedschaft in der Gewerkschaft bedarf, um von den Tarifabschlüssen zu profitieren, sehen 18 Prozent als wichtigen Grund, nicht Teil der organisierten Arbeitnehmervertretung zu werden. Außerdem gibt es verstärkt die Tendenz zur Individualisierung – so sind 22 Prozent der Befragten der Ansicht, die eigenen Probleme am Arbeitsplatz besser selbst lösen zu können.
Trotz der vielschichtigen Gründe gegen die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft überwiegen für die 814 vom IW befragten Mitglieder die Vorteile – allen voran die Schlagkraft der Gemeinschaft.
Knapp 60 Prozent der Mitglieder sind in eine Gewerkschaft eingetreten, weil sich aus ihrer Sicht im Kollektiv bessere Gehalts- und Arbeitsbedingungen durchsetzen lassen.
Die Unterstützung im Streikfall war für jeden Zweiten ein triftiger Grund für den Beitritt.
Bereut haben diesen Schritt nur die wenigsten: 83 Prozent sind mit ihrer Gewerkschaft zufrieden, zwei Drittel der befragten Mitglieder sind schon mehr als zehn Jahre dabei. Das Halten von Mitgliedern ist angesichts dieser Ergebnisse weitaus weniger problematisch als das Anwerben.
Quelle: IW Köln