Die Suche nach Fachkräften in ländlichen Regionen gilt als besonders schwierig. Beim Maschinenbauer BOMAG im Hunsrück setzen sie auch auf Arbeitskräfte aus dem Ausland und auf Kooperationen mit der Agentur für Arbeit.
Vom malerisch gelegenen Rheinstädtchen Boppard schlängelt sich die Straße durch den Wald den Hang hinauf in den Hunsrück. Oben angekommen, ist vom UNESCO-Welterbe im Tal nichts mehr zu sehen, die Hügellandschaft versperrt den Blick. Am Rand des Ortsbezirks Buchholz reihen sich die Werkshallen der Bopparder Maschinenbaugesellschaft aneinander, kurz BOMAG. Hier werden Maschinen zum Straßenbau gefertigt, mit großen Walzen zur Verdichtung des Erdreichs, der Tragschicht oder des Fahrbahnbelags, aber auch von Müll. Hinter Buchholz ziehen sich Dörfer entlang der Landstraßen, mal etwas größer, mal kleiner. Koblenz ist etwa 20 Kilometer entfernt, aber die Stadt zwischen Rhein und Mosel ist auch keine Metropole. So richtig viele Menschen wohnen hier nicht.
Für Katja Hahn wird das immer wieder einmal zum Problem. Sie ist in der Geschäftsleitung von BOMAG zuständig für das Personal, hier am Standort sind das 1600 Menschen. Zum Vergleich: Die Stadt Boppard hat gut 15.000 Einwohner, BOMAG ist der größte Arbeitgeber der Region. In den vergangenen drei Jahren stellte Hahn jeweils mehr als 100 neue Mitarbeiter ein.
Zwar hat BOMAG das jüngste Geschäftsjahr mit einem Rekordumsatz abgeschlossen, trotzdem liegen die vielen Einstellungen nicht daran, dass der Standort so rasant wächst. Der allergrößte Teil sind Nachbesetzungen. Jährlich in dieser ländlichen Region so viele neue Kollegen aufzuspüren, das sei eine Herausforderung, sagt Hahn. Für manche spezialisierten und gut bezahlten Jobs bei dem Maschinenbauer ziehen Ingenieure extra in den Hunsrück. Aber viele müssen vor Ort gefunden werden.
Ungelernte Kräfte stelle BOMAG kaum ein. So ist es bei vielen Firmen – nur weil es Arbeitssuchende in der Region gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie auch dort weiterhelfen könnten, wo nach Arbeitern gesucht wird. Anders als in den Schlagzeilen der Wirtschaftsnachrichten ist der Fachkräftemangel für Hahn kein Thema erst der vergangenen Jahre. Seit 18 Jahren arbeitet sie schon in der Personalabteilung von BOMAG. „Das war immer präsent“, sagt sie. Nun, da die Babyboomer in Rente gehen, werde es kaum leichter werden.
Bei Bomag haben sie „gelbes Blut“
Aber Hahn ist ohnehin niemand, der sich gern beklagt. Am Ende hatte sie auch keinen Anlass dazu. Die vielen offenen Stellen der vergangenen Jahre konnten noch stets besetzt werden, mangels Personals mussten die Maschinen nie stillstehen. Dass sie länger brauchten für eine Neueinstellung, fünf bis sieben Monate, sei im vergangenen Jahr nur bei sieben Positionen so gewesen.
Gefragt danach, für welche Stellen es bei BOMAG besonders schwierig sei, nennt Hahn gleich mehrere: ITler seien gefragt und wegen der großen Zahl immer auch Ingenieure. Daher wurde der Einstellungsprozess digitalisiert und internationaler ausgerichtet: Mehr als ein Duzend Einstellungen der letzten Monate kämen aus dem Ausland, das sei neu. BOMAG biete diesen Spezialisten ein attraktives Gehalt und relativ flache Hierarchien, sagt Hahn. Die Selbstwirksamkeit
sei für sie sehr hoch. „Und wenn dann jemand einmal im Unternehmen ist, dann haben wir die.“ Die Identifikation sei relativ hoch, nicht zuletzt, da ganze Maschinen und nicht nur deren Teile produziert werden. In der Region heiße es, bei BOMAG hätten sie „gelbes Blut“, wegen der Lackierung der Maschinen.
Im gewerblichen Bereich fehle es an Zerspanern, die seien nicht nur hier in der Region rar, und an Lagerlogistikern. Um dem Bedarf in den Lagern Herr zu werden, entschied sich BOMAG schon vor knapp zwei Jahren, neue Wege zu gehen. Einer, der deshalb heute in Buchholz arbeitet, ist Sergej Ring. Er arbeitete zuvor jahrelang bei Ritz, in der Nähe von Montabaur. Dort seien Stromwandler, etwa für ICE-Züge, gebaut worden. 2017 wurde die Produktion nach Ungarn verlagert, wie viele andere sei er entlassen worden. In den Jahren darauf habe er einige Zeit in Koblenz bei einem Automobilzulieferer gearbeitet, bevor er auch dort gehen musste. Die Agentur für Arbeit habe ihm schließlich 2022 vorgeschlagen, sich das Angebot bei BOMAG anzuschauen. Dort wurde eine einjährige Teilqualifikation zum Lagerlogistiker angeboten, ein ganz neues Programm. BOMAG habe er schon als gutes Unternehmen gekannt, also sei er zu einer Infoveranstaltung gegangen, und es habe gepasst.
Jetzt schiebt sich Ring auf einem Gabelstapler durch den mit Neonröhren erhellten Gang der Lagerhalle S. Siebeneinhalb Meter hoch sind die Regale auf beiden Seiten, der Gang etwa 70 Meter lang. Das Flurfahrzeug, wie sie die Lagermaschinen nennen, ist so konstruiert, dass Rings Kabine mit den Gabeln hoch- und runterfährt, sonst könnte er oben, auf mehr als sieben Meter Höhe, vielleicht nicht genau genug arbeiten. Das aber ist essenziell, schließlich werden teils tonnenschwere Teile bewegt, etwa die Bandagen, die Walzen der Straßenbaumaschinen, die den Untergrund verdichten sollen. Oder fragile Güter, wie die Scheiben für die Führerkabinen.
Langezeitarbeitslose anwerben und schulen
Bei BOMAG arbeiten mehr als einhundert Lagerlogistiker. Wegen der tonnenschweren Teile und der vielen Vorschriften zur Arbeitssicherheit sei das keine reine Helfertätigkeit, sagt Vanessa Hebel, eine Mitarbeiterin Hahns aus der Personalabteilung. „Wir brauchen dafür qualifiziertes Personal.“ Als die Aufträge nach den schlimmsten Pandemiejahren 2022 wieder deutlich zunahmen, waren es innerhalb kurzer Zeit besonders viele. Aber: „Die Lageristen immer wieder von Firma A nach B nach C abzuwerben, das ist letztlich nicht nachhaltig für die Region“, sagt Hebel.
Daher entwickelte sie gemeinsam mit dem Koblenzer Bildungswerk der rheinland-rheinhessischen Wirtschaft und der Agentur für Arbeit ein Konzept, um Arbeitslose, die teils schon länger nicht mehr gearbeitet hatten, anzuwerben und zu schulen. Innerhalb des Unternehmens habe sie dafür anfangs so manchen überzeugen müssen. Angelehnt an die Module der Ausbildung zum Fachlageristen, belegen die Teilnehmer Kurse beim Bildungswerk, während sie den praktischen Teil im BOMAG-Werk absolvieren.
In Halle S tauscht sich Sergej Ring noch einmal mit Teamleiter Christian Braden aus. „Du musst die Brille aufsetzen“, sagt der. Ein Kollege Rings habe einen Splitter ins Auge bekommen, seitdem seien die Brillen
verpflichtend. Ring versichert sich nochmals bei Braden, dass er jetzt, mit Brille, den Gabelstapler bewegen könne. Der nickt, Ring fährt ein paar Meter in den Gang hinein. Seine Kabine hebt langsam an, schwebt vorbei an Bolzen, Schlauchhalter, Kabelbäumen und Plattstahl.
Wegen der Arbeit in der Höhe der Hallen gehört zur Teilqualifikation auch ein Kurs, in dem die Teilnehmer lernen, sich abzuseilen. Falls die Technik ausfällt, während sie in mehreren Stockwerken Höhe arbeiten, sollen sie dort schnell runterkommen können. Die Halle ähnelt auf den ersten Blick denen von Ikea, nur deutlich enger ist alles. Die Flure sind genau so breit wie die Flurfahrzeuge. Und alles ist noch organisierter, jeder einzelne „Pick“, wie sie hier sagen, wird digital erfasst. Vor allem aber sind die Waren teils viel schwerer. Daher ist es wichtig, stets zu wissen, wie korrekt mit den Kisten umzugehen ist. Auch wenn die ganzen Regeln dann erst mal auswendig gelernt werden müssen.
Aus dem Lager fahren Ring und seine Kollegen die Teile in die benachbarte Halle, an eine der Fertigungslinien. Hier entstehen die Straßenbaumaschinen im typischen BOMAG-Gelb. Am Anfang der Linien sind es noch einzelne Walzen oder nur ein Skelett einer Maschine. 100 Meter weiter, am Hallenende, sind sie schon fast vollendet. Alle 45 Minuten werde eine Maschine fertig, berichtet Teamleiter Braden. Damit das funktioniert, müssen die Lageristen stets die Komponenten zur richtigen Zeit zur richtigen Stelle bringen.
Konjunkturelle Flaute mindert den Druck nach mehr Fachkräften
Personalleiterin Hahn berichtet, statt der neuen Lageristen hätte die Halle auch automatisiert werden können. Nur 20 Minuten vom BOMAG-Standort, bei Continental in Rheinböllen, sind sie genau diesen Weg gegangen. Bei BOMAG hätten sie das durchaus auch diskutiert – und verworfen. Ein neues Lagerrobotersystem zu installieren sei ein vergleichsweise langwieriger Prozess, der Personalmangel in den Lagerhallen sollte aber zügig gelindert werden.
Die Teilqualifikation für die Lageristen wurde im September 2022 vorgeschlagen, im Januar begannen mit Sergej Ring zwölf weitere die einjährige Maßnahme. Dass das so schnell ging, sagt Hahn, lag auch an der öffentlichen Förderung. 2500 Euro bekommen die Teilnehmer brutto, mehr als die Auszubildenden. Von den Kosten für Schulung und Entlohnung übernimmt die Agentur für Arbeit bis zu 70 Prozent.
Gundula Sutter, Leiterin der zuständigen Agentur für Arbeit in Bad Kreuznach, sieht darin einen der Gründe für den Erfolg der Zusammenarbeit mit BOMAG. Natürlich sei der Maschinenbauer obendrein ein großes Unternehmen, das mache vieles einfacher. „Aber so was können auch zehn Handwerker gemeinsam machen und jeweils einen nehmen.“ Bei kleinen Betrieben übernehme die Agentur sogar bis zu 100 Prozent der Kosten.
Am Geld liege es nicht, das sei ausreichend vorhanden. Viele Betriebe scheuten eher die Bürokratie, die mit den zugeschnittenen Fördermaßnahmen einhergehe. „Aber wir helfen da gern“, versichert sie. Infolge der Kurzarbeit sehe sie auch eine größere Offenheit. Viele Unternehmen seien dadurch mit der Agentur für Arbeit in Kontakt gekommen und hätten praktische Erfahrung in der Zusammenarbeit sammeln können.
Katja Hahn erwartet für die nahe Zukunft, dass es etwas ruhiger werde. „Die konjunkturelle Flaute mindert den Druck nach mehr Fachkräften – aber eben nur kurzfristig.“ Ob bei den Lageristen, den Zerspanern oder auch den Ingenieuren – wenn es wieder besser laufe und alle wieder nach Fachkräften riefen, könne man nicht zuvor Pause gemacht haben. „Das ist genau die Kunst, auch wenn es wieder etwas ruhiger wird, nicht den Fehler zu machen, einfach nur stillzuhalten.“ Für das kommende Jahr sieht sie aber noch keinen Bedarf für ein neues Teilqualifizierungsprogramm. Im Jahr darauf könnte es aber wieder so weit sein, je nachdem, wie sich die Personalsituation entwickele.
Sergej Rings Ausbildung wird dann schon abgeschlossen sein. Wie die meisten in seiner Gruppe belegt er nach dem ersten Jahr in der Teilqualifikation noch ein weiteres Jahr die ausstehenden Module beim Bildungswerk für die IHK-Prüfung zum Lagerlogistiker. Für ihn ist das Programm ein Beispiel, wie innerhalb relativ kurzer Zeit Arbeitsuchende zu Fachkräften werden können. Ein Modell, von dem er sich viel verspricht. Denn: „Wir haben genug Leute, die Arbeit suchen.“
Quelle: Jakob Krembzow, FAZ vom 22.07.2024, 19:17