Das ifaa feiert in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen. Anlässlich dieses besonderen Jubiläums führte der vem ein Interview mit Prof. Dr.-Ing. habil. Sascha Stowasser, dem Institutsdirektor des ifaa:
Erst die Corona-Krise, nun der schreckliche Krieg in der Ukraine – Das Jubiläumsjahr des ifaa fällt in eine für die Wirtschaft sehr schwierige Zeit. Wie haben Sie diese Zeit bisher erlebt?
Der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft begleitet uns stetig – das ist nicht wirklich neu. Doch noch nie war der Wandel mit so einer massiven Unsicherheit auf vielen Ebenen besetzt. Corona, politische Krisen und Umbrüche, Spaltungen in der Gesellschaft, Klimaveränderungen, Lieferketten-Probleme, Fachkräftemangel, Digitalisierung – um nur einige Punkte zu nennen. Die VUKA-Welt beeinflusst ausschlaggebend die Arbeit des ifaa. Beispielsweise entwickelten wir ein umfassendes Hilfepaket für Unternehmen, mit dem sie systematisch die Hausaufgaben zur Nachhaltigkeit und die Sicherung von Lieferketten meistern können. Darüber hinaus fragten uns zahlreiche Unternehmen in den harten Zeiten des Corona-Lockdowns: „Wie können wir die Schichtpläne mit ausgedünnter Personaldecke gestalten? Wie können flexible Arbeitszeitmodelle aussehen? Welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes – beispielsweise Abstände an den Linien – sind in der Montage, Fertigung usw. einzuhalten? Welche Rolle hat die Führung in Zeiten von Corona, wenn die Beschäftigten nicht mehr im Büro sind?“
Wie können die Unternehmen mit diesen enormen Herausforderungen umgehen und liegen vielleicht sogar Chancen in diesen Krisen?
Unternehmen sind aktuell gefordert wie nie ökonomischen, ökologischen oder sozialen Ereignissen standzuhalten. Sie werden mit Krisen konfrontiert, die selbst erfolgreiche und gesunde, vor allem unvorbereitete Unternehmen in ihrer Existenz bedrohen können. Der beste Weg, ein Unternehmen vor den Folgen von Schadens- und Krisenereignissen zu schützen, ist es, sich auf Eventualitäten vorzubereiten. Eine Methodik hierzu ist das betriebliche Kontinuitätsmanagement. Das ifaa stellt den Unternehmen ein praxisnahes Instrumentarium mit Checklisten, Handlungshilfen, Workshopsseminaren zur Verfügung: Es hilft dem Unternehmen bei der aktiven Planung, Steuerung und Sicherung des langfristigen Fortbestands und Erfolgs gegen geschäftsschädliche Ereignisse.
Und sicherlich erkenne ich auch Chancen in diesen Krisen. Unternehmen, die aktiv, systematisch und gewissenhaft das Megathema Nachhaltigkeit bearbeiten, werden sich von der globalen Konkurrenz abheben und eine Pole-Position im Wettbewerb einnehmen. Nachhaltigkeit bedeutet in meinem Verständnis, ökologisch, ökonomisch und sozial in gleicher Balance zu agieren. Unternehmen mit innovativen, umweltfreundlichen Geschäftsmodellen sowie mit produktiven, humanorientierten Prozessen nehmen einen internationalen Vorreiterstatus ein und sind Vorbild für andere Unternehmen für den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen.
Das Motto der Jubiläumsveranstaltung lautet „Wegweiser für die Arbeit der Zukunft“. Was bedeutet das für Sie?
Seit 60 Jahren sind wir Vordenker für die Arbeitgeberverbände – vornehmlich der deutschen Metall- und Elektroindustrie – in vielerlei Facetten rund um Arbeit, Betrieb und Unternehmen. Unser Anspruch ist es, praxisnahe Unterstützung für die Verbände und deren Mitgliedsunternehmen anzubieten. Mit unserer angewandten Arbeitsforschung und den daraus abgeleiteten Handlungshilfen zeichnen wir den Unternehmen ihren betriebsspezifischen Weg in eine erfolgreiche Zukunft vor. Dabei ist für uns wichtig, dass die Unternehmen erfolgreich sind. Erfolgreich bedeutet: Wettbewerbsfähig und produktiv, ökologisch verantwortlich und sich um ihre Beschäftigten kümmernd.
Um welche Trends in der Arbeitswelt kommen die Unternehmen Ihrer Meinung nach nicht herum? (Trendbarometer)?
Für mich als Arbeitsforscher sind die folgenden drei Trends der Arbeitswelt ausschlaggebend.
Erster Trend: Flexibilisierung. Die zukünftige Arbeitswelt basiert auf der immer kraftvoller werdenden Flexibilisierung, Vernetzung und Individualisierung der Arbeit. Dimensionen der Flexibilisierung sind Arbeitsort, Arbeitszeit und Arbeitsstrukturen. Die Möglichkeiten der Vernetzung bieten Mitarbeitern und Führungskräften die Chance, zunehmend orts- und zeitunabhängiger zu arbeiten. Resultierend daraus entwickeln sich vielfältige Szenarien von mobilen und vernetzten Arbeitssystemen. Langfristig wird dies nicht nur Büroarbeitsplätze betreffen und neue Anforderungen an Führung und Zusammenarbeit stellen.
Zweiter Trend: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Durch die vernetzte und intelligente Digitalisierung (geäußert zum Beispiel in der Vision „Industrie 4.0“ und verschiedener Technologien der Künstlichen Intelligenz) entstehen zahlreiche Wege zur Neugestaltung von Arbeit und damit auch Potenziale für die Ergonomie und den Arbeitsschutz. Digitalisierung bedeutet, dass Informationen aller Art elektronisch gehandhabt und vernetzt werden – so entsteht ein leistungsfähiges Informationsmanagement. Dies betrifft alle: sowohl Produktions- als auch Wissensarbeit. Assistenzsysteme (Datenbrillen, Tablets, Smart Watches u.v.a.), technische Unterstützungsmöglichkeiten (Mensch-Roboter-Kollaborationen, Exoskelette) und weitere Automatisierungsmechanismen werden die Arbeit der Zukunft prägen.
Dritter Trend: Der enorme Fachkräftemangel. Die Bedürfnisse, auf den demografischen Wandel zu reagieren (Nachwuchskräfte zu gewinnen sowie Leistungsfähigkeit einer alternden Belegschaft zu gewährleisten), und der gesellschaftliche Wertewandel drängen die Mitarbeiterorientierung immer weiter in den Vordergrund. Verändern werden sich auch die qualitativen und quantitativen Anforderungen an Personalentwicklung und Qualifikation der Beschäftigten. Lebenslanges Lernen aller Beschäftigtengruppen wird immer wichtiger. Bisherige Konzepte (z.B. Lernen in kontinuierlichen Verbesserungsprozessen) reichen hierzu nicht aus.
Wie finden Sie Ihre Forschungsthemen?
Hierzu verhilft den ifaa-Experten ein ausgeklügeltes System, um unsere zukünftige Forschungsthemen zu identifizieren. Zum einen gibt es zahlreiche ifaa-interne Plattformen, in denen wir über die Forschung am Institut nachdenken. Das sind beispielsweise unsere konstruktiven Vorstandssitzungen, in denen uns kompetente Unternehmensvertreter Herausforderungen, Ansprüche und Notwendigkeiten der betrieblichen Praxis schildern. Ferner trifft sich das gesamte Team einmal jährlich zu einer mehrtägigen Herbstklausur, in der wir ausgiebig über thematische Zukunftsfragen und Lösungsmöglichkeiten brainstormen können. Selbstverständlich richten wir unseren Fokus auf die Wünsche unserer Mitgliedsverbände. In Konferenzen und Arbeitskreisen mit den Ingenieuren der Arbeitgeberverbände diskutieren wir über die Forschungsthemen der Zukunft.
Inwiefern unterscheiden sich die Forschungshemen innerhalb der verschiedenen Branchen (M+E-Industrie, Textil- und Bekleidungsindustrie, Glas und Solar, Papier…)?
Gar nicht so sehr. Zahlreiche Fragestellungen sind ähnlich, wie zum Beispiel „Wie sieht die Büroarbeit und mobile Arbeit der Zukunft aus?“, „Welche modernen Ansätze zur Führung gibt es?“, „Wie lässt sich ein flexibler Schichtplan mit KI entwickeln?“, „Wie kann ein Unternehmen die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten bis zum Renteneintrittsalter erhalten?“, „Wie analysiert ein Unternehmen die psychische Belastung am Arbeitsplatz?“, „Welches sind zukunftsfähige Entgelt- und Vergütungssysteme?“.
Selbstverständlich gibt es Unterschiede: Beispielsweise hat der Arbeitsschutz in einer Gießerei andere Gestaltungshebel als in der Bekleidungsindustrie. Doch Unterschiede gibt es auch innerhalb der Branchen, innerhalb eines Unternehmens. Auch die regionalen Verhältnisse, was zum Beispiel den Fachkräftemangel und die Unternehmensstrukturen angeht, beeinflussen die Ausgestaltung der Arbeits- und Betriebsverhältnisse sehr.
Sie sind Professor am Karlsruher Institut für Technologie. Inwiefern vermitteln Sie den Arbeitskräften von morgen die Arbeitswelt von morgen?
Den Studierenden möchte ich bereits während des Studiums nahelegen, wie die betriebliche Welt in der Zukunft aussehen mag. Das ist ein persönliches Ziel meinerseits. Ein wichtiger Bestandteil meiner Vorlesungen sind demnach Zukunftsthemen wie Industrie 4.0, die Arbeitswelt mit Künstlicher Intelligenz und die zukünftige Rolle der Zukunft. Ich möchte die Studierenden auf die zukünftigen Chancen und Herausforderungen praxisnah vorbereiten.
2022 ist das Jubiläumsjahr für das ifaa. Welche besonderen Events wird es anlässlich des Jubiläums geben?
Am 22.6.22 feierten wir in Düsseldorf unser Jubiläum mit Vertretern aus Verbänden, Unternehmen und Wissenschaft. Umrankt war die Jubiläumsparty am Abend von einem Kolloquium „New Work - Arbeitswelt der Zukunft“, in dem Unternehmensvertreter und ifaa-Experten interessante Lösungen zum Umgang mit KI; Nachhaltigkeit, mobiler Arbeit und innovativen Geschäftsmodellen vorstellten.
Wir freuen uns außerdem, dass wir im Jubiläumsjahr einen neuen Forschungsstandort in Hürth eröffnen durften. In Hürth wird ein junges Team das Kompetenzzentrum WIRKsam aufbauen und einen wichtigen Beitrag zur innovativen Arbeitsforschung mit künstlicher Intelligenz leisten. Die Auftaktveranstaltung zu WIRKsam fand bereits im März statt.
Ansonsten heißt es 2022: „Business as usual“.
Wagen Sie bitte einen Blick in die Zukunft: Wie wird das ifaa in 5 Jahren aufgestellt sein und welche Themen werden die Verbände und die Wirtschaft beschäftigen?
Leider rollt eine Welle bürokratischer Monster auf die Unternehmen zu. Lieferkettengesetzgebung, Nachhaltigkeitsberichterstattung, Arbeitsbedingungen-Richtlinie der EU mit akribischer Erfassung der Arbeitszeiten der Beschäftigten. Dazu kommen möglicherweise Ankündigungen was die Homeoffice-Verpflichtung und die Verschärfungen zum Umgang mit psychischer Belastung angehen. Zum größten Teil sind das unnötige Auflagen an die Unternehmen mit der Konsequenz, dass starre Systeme sich durchsetzen. Das bedeutet eine konsequente Untermauerung der Flexibilität – und gerade diese Flexibilität benötigen unsere deutschen Unternehmen, wenn sie im globalen Wettbewerb erfolgreich bleiben wollen. Hierauf müssen sich Verbände und Unternehmen vorbereiten.
Zukunftsblick für das ifaa: Wir werden uns noch intensiver in Teamarbeit um die Zukunftsthemen kümmern müssen. Die Themen sind immer verzwickter und beeinflussen sich gegenseitig. So resultiert aus der Einführung von innovativen Technologien eine ganze Kette von Fragestellungen: Welche Auswirkungen haben diese auf die körperliche und geistige Belastung der Beschäftigten? Welche Qualifikationen sind notwendig? Wie verändert sich die Arbeitsorganisation. Und schließlich auch: Hat die Technologieeinführung Auswirkungen auf die Vergütung? Das alles kann ein Forscher nicht allein beantworten. Hierzu müssen Experten aus den verschiedenen ifaa-Fachbereichen zusammenarbeiten. Um den Wandel zu bewältigen, braucht es noch mehr Flexibilität in den Unternehmen und bei den Beschäftigten als bisher. Wir unterstützen die Verbände und deren Mitgliedsunternehmen, um genau diese Flexibilität zu gestalten und den Weg in die Zukunft zu bereiten.